Gebäudeverzeichnis

Gymnasiumstraße 4 - Ehem. Gewerbeschule

Adresse: Gymnasiumstraße 4
Primärkatasternummer: keine
Besitzer: 1827


Beschreibungen

Die ehem. Gewerbeschule wurde 1912 nach Entwürfen der Stuttgarter Architekten Bihl & Woltz errichtet. Der zur Gymnasiumstraße dreigeschossige, zum Langen Graben zweigeschossige Putzbau mit Mansarddach ist ein bis in die Details unverändert erhaltenes Zeugnis für die auf opulente Dekorationen verzichtende Formensprache der künstlerischen Reformbewegung, die sich zu Beginn des 20. Jhs. gegen den Historismus durchsetzte. Die Grundkonzeption als blockhafter Baukörper, der durch einen gerundeten Mittelrisalit gegliedert wird und die Ausbildung der Details (z.B. Fenster ohne Rahmungen, Gliederung der Wandflächen durch schlichte Lisenen, strenges Säulenportal mit Dreiecksgiebel, Abschluss des Mittelrisalites durch eine Attika mit Halbkreisfenstern, flache Kuppel) zeigen beispielhaft, dass man durch Anknüpfen an den Klassizismus, der im zeitgenössigen Verständnis als letzter "echter" Stil galt, den neuen Stil des 20. Jh. entwickeln wollte. Die Belichtung des Treppenhausrisalites durch zwei Geschossmauern, zu Paaren zusammengefassten, schmalen Fenstern ist eine in der Zeit um 1910/14 für Bauten mit monumentalem Anspruch sehr charakteristische Form. Bihl & Woltz gehörten gehörten zu den Architekten, die zur Überwindung des Historismus in Württemberg wesentliche Beiträge geleistet haben. (StadtA Schwäb. Hall: Liste der Kulturdenkmale Stadt Schwäb. Hall, Stand 10/1982, S. 202)

 

Gymnasiumstraße 4 (Flst.Nr. 0-648). Gewerbeschule. Zur Gymnasiumstraße dreigeschossig, zum Langen Graben zweigeschossig. Putzbau mit Mansarddach. Bis in Details unverändert erhalten. Fenster ohne Rahmungen, schlichte Lisenen, strenges Säulenportal mit Dreiecksgiebel. Mittelrisalite durch Attika mit Halbkreisfenster. Beleuchtung Treppenhausrisalite durch zwei geschosshohe, zu Paaren zusammengefasste schmale Fenster. 1912. § 2. (aus: Liste der Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, Stadt Schwäbisch Hall, Stand 13.11.2013)

 

Im Jahr 1995 erhielt das damalige Städt. Hochbauamt für den modernen Innenausbau als Verwaltungsgebäude einen Preis beim Wettbewerb "Beispielhaftes Bauen im Landkreis Schwäbisch Hall". Der Umbau und die Modernisierung erfolgten in den Jahren 1988 - 1989. Dabei änderte sich die Struktur des Gebäudes nicht, nur in den ehemaligen Klassenräumen wurden moderne Büros mit Wandschränken und Glasoberlichten eingerichtet (Albrecht Bedal).

Besonderheiten

Für die Ausstellung "Katechismus, Nähzeug, Büchermappe" 2002 wurde eine Schülerin der Handelsschule entdeckt:

 

1926: Hedwig Berroth besucht freiwillig die Handelsschule

Nach vier Jahren an der Mädchenrealschule im Haal beginnt die 16-jährige Hedwig Berroth eine Ausbildung zur Kaufmannsgehilfin bei der Firma Rummel–Manufakturwaren. An der Handelsschule ist sie im Schuljahr 1926/27 eines von fünf Mädchen (davon zwei jüdische), die gemeinsam mit 65 männlichen Lehrlingen acht Stunden in der Woche zum Unterricht kommen.

Hedwig Berroth besucht die dreijährige Handelsschule freiwillig, da Schwäbisch Hall nicht zu den Gemeinden gehört, die weibliche Lehrlinge zu dieser zusätzlichen Qualifizierung verpflichten. Eine allgemeine Berufsschulpflicht für Mädchen wird erst 1933 eingeführt. Gewerblichen Unterricht gibt es in Hall seit den 1840er Jahren, und bereits 1864 werden zehn freiwillige junge Mädchen in „Buchführung und gewerblicher Correspondenz“ unterwiesen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nehmen immer mehr Frauen eine Angestelltentätigkeit auf. Doch die 1913 direkt neben dem Gymnasium neu eröffnete Gewerbe- und Handelsschule ist nur für männliche Lehrlinge eingerichtet: Toiletten für Mädchen werden erst 15 Jahre später im Dachgeschoss eingebaut.

Paul und Eugenie Rummel, die Arbeitgeber von Hedwig Berroth, engagieren sich beide bei der Handwerkskammer für die Lehrlingsausbildung und fördern den Schulbesuch ihres weiblichen Lehrlings. Die Kaufmannsgehilfin wird nach der Ausbildung übernommen und bleibt bis zu ihrer Heirat 1938 bei der Firma Rummel. Ihre Qualifikation kommt ihr noch lange zugute. Nach einer 12-jährigen Familienpause in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der sie drei Töchter bekommt, nimmt Hedwig Berroth, verheiratete Vogelmann, ihre Berufstätigkeit für weitere 21Jahre wieder auf.   

Aus: Ulrike Marski (Hrsg.), Katechismus, Nähzeug, Büchermappe. Weibliche Bildungswege in Schwäbisch Hall. Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung. Schwäbisch Hall 2002, S. 22