Haller Häuserlexikon – Primärkataster-Nr.

Gelbinger Gasse 25 - Engelhardt-Palais: Wie Phönix aus der Asche

Adresse: Gelbinger Gasse 25
Primärkatasternummer: 375
Besitzer: 1827
Seiferheld, Johann Friedrich, Dr., Witwe


Besitzerliste

1705: Erbaut durch den Ratsherrn Johann Wilhelm Engelhardt (1653-1711) auf einer nach dem Brand der Gelbinger Gasse (1680) zurückgebliebenen Fläche. 

1711: Nach dem Tod von Johann Wilhelm Engelhardt am 17. März 1711 kommt eine Hälfte des Hauses über die Tochter Marie Rosine Engelhardt (*1688) aus erster Ehe an deren Ehemann (seit 1708), den Ratsherrn und späteren Stättmeister Johann Lorenz Drechsler (1664-1725).
Die andere Hälfte des Hauses geht über die Tochter Catharina Magdalena Engelhardt an deren Ehemann (seit 1698), den Ratsherren Johann Lorenz vom Jemgumer Closter (1676-1761) über.

1725: Nach dem Tod von Johann Lorenz Drechsler fällt seine Haushälfte an seine Tochter Sophia Catharina Susanna Drechsler (1713-1799), ab 1739 Ehefrau des Johann Lorenz Sanwald.

1728: Nach dem Großen Stadtbrand vom 31. August 1728 mietet das Hospital zum Heiligen Geist das gesamte Gebäude auf drei Jahre für 100 Reichstaler oder 150 Gulden jährliche Miete von Closter und den Drechsler'schen Erben. Das Hospitalgebäude am Spitalbach fiel dem Brand zum Opfer. Untergebracht werden Pfründner und Bedienstete, aber auch das Hospitalarchiv und Materiallager.

bis 1761: Das gesamte Haus kommt in den Besitz von Johann Joseph Franz Wibel (1716-1769), Amtsvogt zu Vellberg. Wibel erwirbt den Closter'schen Anteil durch seine 1740 geschlossene Ehe mit Marie Rosine vom Jemgumer Closter (1719-1796), einer  Tochter von Johann Lorenz vom Jemgumer Closter. Nach dessen Tod 1761 kauft das Ehepaar den Hausanteil für 1.500 Gulden aus der Erbmasse des Vaters bzw. Schwiegervaters. Ein Vertrag über den Erwerb der anderen Haushälfte ist bislang nicht auffindbar.

1762: Johann Joseph Franz Wibel, Amtsvogt zu Vellberg, verkauft das ganze Haus am 2. November 1762 für 3.500 Gulden an den Landhauptmann Johann Lorenz Rittmann (1705-1767).

1767: Nach dem Tod des Johann Lorenz Rittmann fällt das Haus an seine älteste Tochter Sophie Magdalene (1748-1770), seit 1766 Ehefrau des Radsadvokaten Friedrich Lorenz Haspel (1739-1791). 

1770: Mit dem Tod der Sophie Magdalene Haspel am 27. Mai 1770 geht das Haus in den Besitz ihres Ehemannes Friedrich Lorenz Haspel über.

1791: Nach dem Tod von Friedrich Lorenz Haspel am 16. November 1791 fällt das Haus im Erbgang an seine Tochter 1. Ehe, Sophia Charlotte Haspel (1767-?), ab 1792 Ehefrau des Dr. Johann Friedrich Seiferheld.

1834: Sophia Charlotte Seiferheld verkauft am 8. Dezember 1834 das Haus für 12.000 Gulden an den Konditor und Kaufmann Christian Friedrich Bär.

1854: Christian Friedrich Bär überschreibt das Haus seiner Tochter Marie geb. Bär, Ehefrau des Peter David Pabst, Kaufmann, unter der Bedingung als Heiratsgut, dass Tochter und Schwiegersohn sämtliche Pflege- und Unterbringungskosten für den erkrankten Christian Friedrich Bär tragen.

1902: als Besitzer genannt: Theophil Wolff, Kaufmann, danach dessen Witwe Julie.

1920: Erworben durch die Firma Gebr. Heumann, Zigarrenfabrik

1939: Die in die USA ausgewanderten Isak, Arthur, Ida und Marga Heumann verkaufen das Haus durch ihren Bevollmächtigten Bezirksnotar i.R. Laux am 6. April 1939 für 40.000 Mark an die Stadt Schwäbisch Hall.

1940: Das Gebäude wird von der Stadt am 11. Januar 1940 die Hospitalstiftung übertragen.

1940: Bis 1. November 1940 werden sämtliche Mietwohnungen im 1. und 2. Stock geräumt, da Umbauten für die Unterbringung der Mütterschule der NS-Volkswohlfahrt stattfinden sollen. Weiterhin ist Ende 1940 ein Teil des Hauses durch den Stab des Infanterieregiments 76 belegt.

1940: Ab 14. Dezember 1940 ist die Leitung der "Lagergruppe 120" des weiblichen Reichsarbeitsdiensts (RAD) in einer Wohnung im 2. Stock des Hauses untergebracht. Von hier aus verwaltet die Lagergruppenführerin Edeltrud Ellissen die Lager des weiblichen RAD in der Umgebung.

1941: Jakob Reichling muss den Namen der Zigarrenfabrik aufgrund einer Reichsverordnung vom 27. März 1941 ändern ("Jakob Reichling Zigarrenfabrik Schwäbisch Hall").

1941: Bürgermeister Prinzing kündigt am 16. Dezember 1941 das Mietverhältnis mit Jakob Reichling, da die Räume für eine städtische Hauswirtschaftsschule und die Mütterschule der NS-Volkswohlfahrt (bereits 1940 geplant) genutzt werden sollen und umfangreiche Umbauten geplant sind.

1942: Die Mütterschule des NS-Frauenwerks übernimmt auf 1. März 1942 neu eingerichtete Räume im 1. Stock des Hauses, weitere Flächen werden durch den Reichsarbeitsdienst sowie die städtische Hauswirtschaftsschule belegt.

1945: Mit dem Ende des NS-Regimes lösen sich der Reichsarbeitsdienst und die NS-Volkswohlfahrt als Träger der Mütterschule auf. Die Haushaltungsschule bleibt alleinige Nutzerin des Gebäudes.

1976: Die mittlerweile vom Landkreis getragene Haushaltungsschule räumt im Oktober 1976 das Haus und zieht in das Berufsschulzentrum auf der Tullauer Höhe. Der Gemeinderat beschließt, das Haus für die Musikschule, die Volkshochschule und die Siederskapelle zu nutzen.

1980: Übergabe des renovierten Hauses an die Musikschule am 12. Juli 1980. Der Unterrichtsbetrieb ist bereits im Mai 1980 aufgenommen worden.

2009: Der Gemeinderat beschließt am 13.11.2009 nach kontroverser Diskussion den Umzug der Musikschule in das "Haus der Bildung" (ehemaliges Gefängnis) im Kocherquartier).

2011: Im Juli 2011 zieht die Musikschule in das "Haus der Bildung" um, das am 10. und 11. September mit Tagen der offenen Tür eingeweiht wird.

2014: Die Krankenpflegeschule des Diak zieht in das Gebäude ein und nimmt den Unterrichtsbetrieb auf.

In den Adressbüchern genannte Besitzer und Bewohner

1886: als Besitzer genannt: David Bapst, Kaufmann
Mieter/Mitbewohner: Rudolf Bucher, Dr. und Kgl. Erster Staatsanwalt [im Adressbuch falsch: Adolf Bucher]; Karl Cloß, Gewerbebankdirektor

1890: als Besitzer genannt: David Bapst, Kaufmann
Mieter/Mitbewohner: Karl Cloß, Gewerbebankdirektor; Fridolin Schach, Landgerichtsrat

1894: als Besitzer genannt: David Bapst, Kaufmann
Mieter/Mitbewohner: Karl Cloß, Gewerbebankdirektor; Hugo Zapf, Fabrikant; Pauline Zapf, Witwe

1901: als Besitzer genannt: David Bapsts Erben (nicht im Haus wohnhaft)
Mieter/Mitbewohner: Johannes Kopp, Missionar; Albert Kauffmann, Oberamtsbaumeister; Gustav Dornfeld, Landwirt

1910: als Besitzer genannt: David Bapsts Erben (nicht im Haus wohnhaft)
Mieter/Mitbewohner: Johannes Kopp, Missionar; Albert Kauffmann, Oberamtsbaumeister; Gustav Dornfeld, Landwirt

1920: als Besitzer genannt: Firma Gebrüder Heumann Zigarrenfabrik (Die Inhaber Norbert und Isak Heumann wohnten in der Mauerstraße 2 und am heutigen  Sparkassenplatz 4)
Mieter/Mitbewohner: Julie Wolf, Kaufmanns Witwe; Emma Kaufmann, Oberamtsbaumeisters Witwe; Wilhelm Nägele, Landrichter; Erwin Habold, Studienassessor; Josef Schimmel, Finanzsekretär; Richard Rein, Studienreferendar

1928: als Besitzer genannt: Firma Gebrüder Heumann Zigarrenfabrik
Mieter/Mitbewohner: Julie Wolf, Witwe; Isak Heumann, Kaufmann und Mitinhaber der Firma Gebr. Heumann; Sara Heumann, Witwe; Lina Albrecht, Pflegerin; Emma Kauffmann, Oberamtsbaumeisters Witwe; Helene Kauffmann, Kanzleigehilfin; Erwin Reif, Baumeister; Dr. Nikolaus Walcker, Studienassessor

1932: als Besitzer genannt: Firma Gebrüder Heumann Zigarrenfabrik
Mieter/Mitbewohner: Isak Heumann, Zigarrenfabrikant; Hugo Oettinger, Kaufmann und Inhaber der Fa. Otto Maute, Marktstraße 1; Jenny Zamory, Verkäuferin

1938: als Besitzer genannt: Zigarrenfabrik Gebr. Heumann, Inhaber Jakob Reichling (Anm.: Reichling ist nicht Besitzer des Hauses, sondern lediglich der Firma)
Mieter/Mitbewohner: Helmut Ammann, Baumeister; Hans Vögelein, Steuersekretär; Ernst Eckstein, Kraftwagenfahrer; Alois Fromm, Arbeiter; Hildegard Goeller, Schreibgehilfin

1956: als Nutzer genannt: Haushaltungs- und Frauenarbeitsschule mit Hauswirtschaftlicher Berufsschule; Herbert Thiele, Hausmeister; Johanna Thiele, Hausfrau

Haustafel

Alle Häuser der Gelbinger Gasse vom Säumarkt bis zum Josenturm brannten 1680 nieder. 25 Jahre danach erst war der stattliche Neubau des reichen Haller Bürgers Johann Wilhelm Engelhardt zwischen einfachen Bürgerhäusern fertig. Mindestens drei alte Parzellen wurden dabei überbaut. Dieses Palais bietet repräsentative Räume mit qualitätvollen Stuckdecken für üppige barocke Festlichkeiten wie in einem Schloss.

Befunde aus Bauakten

Anm.: Die Bauakten im Baurechtsamt sind offensichtlich unvollständig

1859: David Pabst lässt im der rechten Hausseite ein Schaufenster einbauen, das aus zwei von Säulen getragenen Rundbögen besteht.

1902: Theophil Wolff lässt das hinter dem Haus gelegene "Höfchen" mit einem einstöckigen, 5,60 m langen, 2,50 hohen und im Mittel 2,90 m breiten Anbau überbauen. Der als Magazin und "Café-Rösterei" genutzte Anbau erhält ein zinkgedecktes Flachdach mit Geländer und kann als Balkon genutzt weren. Weiterhin wird auf die bestehende Waschküche im Hinterhof ein weiteres Stockwerk aufgesetzt.

1942: Die Kaminanlage in der nunmehrigen "NS-Mütterschule" wird wegen der davon ausgehenden Brandgefahr erneuert.

Wahrscheinlich finden 1941/42 weitere, in den Bauakten nicht dokumentierte Umbauten für die Mütterschule und die städtische Haushaltungsschule statt.

1943: Die NS-Mütterschule erhält mit einer Ausnahmegenehmigung wegen des kriegsbedingten Bauverbots im 1. Obergeschoss eine Küche. Der bestehende Luftschutzraum wird verbessert und u.a. um eine Gasschleuse ergänzt.

1955/56: Im Zusammenhang mit der Nutzung als Haushaltungsschule finden umfangreiche Umbauten statt. Unter anderem wird ein Durchbruch aus dem Keller in den Garten unterhalb der Gelbinger Gasse angelegt, im Untergeschoss richtet man eine Schulwaschküche ein, im Erdgeschoss entstehen unter weitgehender Beseitigung der alten Raumaufteilung eine Hausmeisterwohnung, ein Lehrsaal und ein Aufenthaltsraum. Während im 1. Obergeschoss die bisherige Raumeinteilung bleibt, wird im 2. Obergeschoss u.a. der bisherige Festsaal durch Einziehen einer Wand aufgeteilt. Das Dachgeschoss erhält ebenfalls Unterrichts- und sonstige Räume sowie liegende Dachfenster.

1980: Vor dem Einzug der Musikschule werden das Treppenhaus, die Innenräume und die Fußböden renoviert sowie ein Konzertraum eingreichtet (nicht in den Bauakten, laut HT 14.07.1980).

1985: Erneuerung eines Schornsteins.

1990: Die bisherige Hausmeisterwohnung im Erdgeschoss wird durch Entfernen von Zwischenwänden in Schulräume umgebaut. Hierbei kommen unter einer abgehängten Decke zwei Stuckdecken zum Vorschein, die freigelegt und restauriert werden. Die an den Decken ablesbare alte Raumeinteilung wird wieder hergestellt.

1993: Die 1956 eingebauten liegenden Dachfenster werden entfernt und durch Gauben ersetzt.

2004: Renovierung des Musiksaals u.a. mit Reparaturen an der Stuckdecke.

2013: Renovierung und Umbauten für Pflegeschule des Diakonie-Klinikums (HT).

Beschreibungen

historische Beschreibungen

1762: "...seinen bis daher beseßenen und in der Gelbinger Gaßen zwischen des Christph Büschler, Kupferschmieds Wittib, und Johann Friedrich Francken, Geschmeidmachers Häusern, gelegenen gantzen neuen Bau, samt einem darhinter befindl. Höflein, von welchem der Wohnbau alljährl. gültet auf die wohllöbl. Steuer-Stuben 3 ß Vorgeld zu löbl. Catharein Pfleeg 4 ß Vorgeld und in löbl. Spithal 13 ß schelchte Gült, dann wieder dahin 5 ß Vorgeld, das Höflein aber gültet: In löbl. Catharein-Pfleeg 4 ß."

1827: Wohnhaus mit 45,1 Ruten, Waschhaus 2,4 und Hof 3,7 Ruten, insgesamt 1/8 Morgen 32 Ruten Grundfläche 

1834: "Ein dreystökigtes Wohnhauß in der Gelbinger Straße, neben Kupferschmied Sommer und Sattler Mayer sammt einem dahinter befindlichen Höflein und einem dahinter gelegenen, oben von der Stadtmauer und unten an den Froschgraben stoßenden Gärtchen, wovon das Hauß der Stadtpfleeg 3 Schilling Vorgeld, der vormaligen Catharinenpfleege nun K[öniglichem] Kameralamt 4 Schilling Vorgeld, dann der Armenverwaltung 13 Schilling schlechte Gült und wieder dahin 5 Schilling Vorgeld, das Höflein aber der vormaligen Catharinenpfleege nun K. Kameralamt 4 Schilling Vorgeld gültet".

um 1840: "Ein 3stokigtes Wohnhaus in der Heilbronner Straße, neben Albrecht Sommer u. Christian Maier, ganz von Stein mit 2 gewölbten Kellern" (Güterbuch 4).

1911: "Ein 3stock. Wohnhaus von Stein mit Walmendach an Nr. 23 u. 27 mit eigener Wand angebaut und östl. 1stock. Dachaufbau mit Giebeldach & Ziegeldach, Aufschlag 50.000 M, und nordwestl. 1stock. Remisenanbau von Fachwerk mit Pultdach ohne eigene Wand, Ziegel & Blechdach, Anschlag 1.000 M, und westl. 2stock. Waschküchenanbau gemischter Bauart, mit Plattform, Blechdach, Anschlag 1.600 M, mit über dem Waschhaus 2stock. Abtrittanbau von Stein, mit Pultdach, Ziegeldach, Anschlag 400 M, [zusammen] 53.000 M. " (Feuerversicherungsbuch)

Einträge in den Denkmallisten

Stadtpalais. Putzbau mit Mansardwalmdach, zwei Rundtorgewände mit kleinen Figurennischen, ein hochrechteckiges Portal von kaiserlichem Doppeladler und Inschrift bekrönt, bez. 1705. Eingetragen in das Landesverzeichnis der Baudenkmale in Württemberg seit 08.10.1925. Reste der mittelalterlichen Stadtmauer. (StadtA Schwäb. Hall: Liste der Kulturdenkmale Stadt Schwäb. Hall, Stand 10/1982, S. 156)

Gelbinger Gasse 25 (Flst.Nr. 0-70/1). Stadtpalais, Putzbau mit Mansardwalmdach, zwei Rundtorgewände mit kleinen Figurennischen, hochrechteckiges Portal, Doppeladler und Inschrift, bez. 1705. (siehe auch unter Sachgesamtheit Stadtbefestigung "Am Markt 14, ..."). § 28 (aus: Liste der Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, Stadt Schwäbisch Hall, Stand 13.11.2013)

Besonderheiten

Der Fall Pachelbel

Vor diesem Haus duellierten sich am 30. Januar 1735 nach einem Streit wegen eines Kartenspiels bei einem im Haus wohnenden Herrn von Senft Friedrich Gabriel Pachelbel von Gehag und Johann Wilhelm Heinrich vom Jemgumer Closter. Closter starb noch an Ort und Stelle durch einen Degenstich in die Brust. Gegen Pachelbel wurde ein Mordprozess eingeleitet. Dieser schleppte sich über Jahre ergebnislos hin, da der Haller Rat beim Umgang mit dem hochgestellten, adeligen Angeklagten jeden Schritt durch Gutachten juristischer Universitätsfakultäten absicherte. Pachelbel starb, mittlerweile geisteskrank, im Jahr 1747, ohne seine Freiheit wiedererlangt zu haben.
Beide Akteure des Duells hatten enge Verbindungen zu den Besitzern des Engelhardt-Palais. Pachelbel war mit Sophia Catharina Susanna Drechsler verlobt, der Eigentümerin einer Haushälfte, Closter hingegen war ein Sohn von Johann Lorenz vom Jemgumer Closter, dem Besitzer der anderen Haushälfte. 

Die "Arisierung" des Hauses

1907 gründeten die aus Braunsbach stammenden Brüder Naphtali (genannt Norbert) und Isaak Heumann die Zigarrenfabrik "Gebr. Heumann", die sie zuerst in der Mauerstraße 21/1 betrieben . 1920 kauften sie das Gebäude Gelbinger Gasse 25 und verlegten ihr Unternehmen dorthin. In den 1920er Jahren scheint die Firma geblüht zu haben, denn 1927 beschäftigte man in Schwäbisch Hall bis zu 54 Arbeiter und in einer Außenstelle in Steinheim etwa 40 weitere. Die 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise traf das Unternehmen jedoch hart, es musste zeitweilig geschlossen werden und beschäftigte 1932 nur noch 12 bis 14 Arbeiter. Die zunehmenden Schikanen durch die Behörden des NS-Staats - der Vorarbeiter Jakob Reichling erwähnte in diesem Zusammenhang später vor allem die Zollbeamten - verhinderten nach 1933 eine weitere Erholung des Betriebs.Heumanns versuchten, den Rückgang dadurch zu kompensieren, dass sie als Vertreter für andere Zigarrenfirmen tätig wurden, was zumindest anfangs bis zu einem gewissen Grad gelungen zu sein scheint. 1936 starb Norbert Heumann und wurde als einer der letzten Schwäbisch Haller Juden auf dem Steinbacher Friedhof beigesetzt.

Die sich verschärfende antijüdische Politik des NS-Regimes und die zunehmende Erdrosselung der Wirtschaftstätigkeit veranlassten Isaak Heumann bereits 1937 dazu, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Ihre Besitztümer, die sie nicht mitnehmen konnten, mussten sie zu Spottpreisen verschleudern oder verschenken, da "zur damaligen Zeit keiner richtig den Mut hatte, noch etwas von Juden zu kaufen". Am 26. Juni 1937 verließ Isaak Heumann mit seiner Frau Rösle und seinem Sohn Arthur sowie mit Norberts Witwe Ida und dessen Tochter Marga die Stadt. Isaak, der sich nun Isaac Hyman nannte, ging nach Tampa (Florida), seine Schwägerin nach New York. Isaac lebte anfangs bei Verwandten, die ihm ein Taschengeld bezahlten, und konnte erst ab 1942 wieder eine selbstständige wirtschaftliche Existenz aufbauen. Sein Sohn Arthur erwarb 1953 an der Harvard-Universität den Grad eines Dr. phil. und wurde 1955 zum Rabbiner ordiniert.

Die im Erdgeschoss des Hauses untergebrachte Zigarrenfabrik hat Isaak Heumann im April 1937 für 2.000 Reichsmark an seinen Mitarbeiter Jakob Reichling verkauft, einen Sozialdemokraten, dessen Frau 1933 aus politischen Gründen aus ihrer Stelle als Spitalköchin entlassen worden war. Die Geschäftsübergabe scheint einvernehmlich erfolgt zu sein, später gab es anscheinend ein Zerwürfnis zwischen Reichling und Heumanns, die genaueren Umstände  sind jedoch unbekannt. Zum Zeitpunkt der Übergabe hatte die Firma noch sieben Beschäftigte. Trotz Mahnungen von Bürgermeister Prinzing führte Reichling das Unternehmen zunächst unter dem alten Namen "Gebr. Heumann" weiter. Eine Reichsverordnung vom 27. März 1941, die das Führen von auf jüdische Vorbesitzer verweisenden Betriebsnamen "arisierter" Unternehmen verbot, erzwang dann eine Namensänderung des im April 1941 noch fünf Frauen beschäftigenden Betriebs.

Das Eigentum am Haus hatte Isaak Heumann zunächst noch behalten, und mit seiner Verwaltung den Bezirksnotar i.R. Robert Laux beauftragt. Es dürfte wohl charakteristisch sein, dass Heumann auf die Dienste eines Pensionärs zurückgreifen musste, der keine beruflichen Nachteile wegen einer Zusammenarbeit mit einem Juden zu befürchten hatte. Mit der Hilfe von Laux verkauften Isaak Heumann und die in New York lebende Frau und Tocher  Norberts das Haus am 6. April 1939 für 40.000 Mark an die Stadt Schwäbisch Hall. Die auf den ersten Blick hoch scheinende Summe dürfte kaum dem tatsächlichen Wert des großen, bereits 1911 auf 52.000 Mark veranschlagten Gebäudes entsprechen. Ohnehin haben Heumanns keinen Pfennig des Geldes tatsächlich erhalten, da die Stadt den Verkauf durch die Abtretung zweier Hypothekenforderungen an die Gewerbebank bezahlte. Diese war zuvor Gläubigerin der Heumanns gewesen. Ursprünglich hatte es sich um eine Hypothekenschuld gegenüber dem Schwager Isaak Heumanns gehandelt. Die Gewerbebank hatte die Forderung übernommen und diesen abgefunden.

Die Stadt gab das stark reparaturbedürftige Haus - Heumanns hatten aufgrund ihrer angespannten wirtschaftlichen Lage kaum Instandhaltungsarbeiten durchführen können - 1940 an die Hospitalstiftung weiter und brachte dessen Mieter nach und nach andernorts unter, u.a. um eine Verwaltungsstelle des weiblichen Reichsarbeitsdiensts (RAD) unterzubringen, der im Dezember einzog. Auch ein Wehrmachtsstab fand hier zeitweilig Platz. Um Raum für einen vorherigen Bewohner des Hauses zu schaffen, ließ Bürgermeister Prinzing die "Jüdin Oppenheimer" - tatsächlich die 69 Jahre alte Witwe Lina Obenheimer - innerhalb von einer Woche aus ihrer bisherigen Wohnung in der Gelbinger Gasse 42 werfen, offenbar ohne sich irgendwelche Gedanken über ihren weiteren Verbleib zu machen. Sie kam dann im "Judenhaus" Klosterstraße 8 unter und wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Reichling erhielt im Oktober 1942 die Kündigung, da Platz für eine städtische Hauswirtschaftsschule sowie eine "Mütterschule" der NS-Volkswohlfahrt geschaffen werden sollte. Unter anderem legte Bürgermeister Prinzing Reichling nahe, doch den ehemaligen jüdischen Betsaal in der Oberen Herrngasse zu nutzen. Die noch von Juden bewohnten Räume könnten, so Prinzing, geräumt werden. Offenbar scheint diese Kündigung jedoch nicht umgesetzt worden zu sein, da Mietzahlungen Reichlings bis 1945 nachweisbar sind und er die Zigarrenfabrik bis 1954 weiter geführt hat.

Das Haus wurde nach 1945 als ehemals jüdischer Besitz unter Treuhandverwaltung gestellt. Die von Familie Heumann/Hyman an die "Jewish Restitution Successor Organization" in New York abgetretenen Entschädigungsansprüche für das Haus wurden 1950 durch einen außergerichtlichen Rückerstattungsvergleich abgegolten, demzufolge die Hospitalstiftung 8.000 DM bezahlte. In verschiedenen Verfahren, die sich bis 1965 hinzogen, erhielten Isaak und Arthur Heumann weitere Entschädigungszahlungen für die beruflichen Einbußen und die erzwungene Auswanderung zugesprochen.

Quellen

Archivalien:

  • StadtA SHA 4/685 (Kaufprotokolle 1762-1768), Bl. 70R; 4/1544 (Unterpfandsbuch Vorstädte), S. 604; 4/1545 (Häuserbuch 1712), S. 239f; 4/1547 (Häuserbuch 1767), S. 226; 4/1547a (Häuserbuch 1780), S. 405;14/2922 (Inventur Johann Lorenz v. Jemgumer Closter, 1761); 19/444 (Ratsprotokoll 1940), S. 167; 19/445 (Ratsprotokoll 1941), S. 159, 278f; 19/446 (Ratsprotokoll 1942), S. 116;19/829 (Güterbuch 4), S. 420; 19/1016 (Kaufbuch 1834), Bl. 183V; 37/798, Nr. 31/1937 (Gewerbeabmeldung Gebr. Heumann); 37/804, Nr. 26/1941 (Gewerbeummeldung J. Reichling); 55/27 (GRP 1955), S. 721; 55/Bd. 1976, S. 697; H03/3378 (Vermietung an Hospital 1728); H04/3105 (Verwaltung und Arisierung des Gebäudes 1930-1957); Q3/3 (Feuerversicherungsbuch, Bd. 3), Bl. 578R; Genealogische Kartei Häfner
  • Baurechtsamt SHA, Bauakten Gelbinger Gasse 25
  • Staatsarchiv Ludwigsburg EL 402/23 Bü 82 (Entschädigungssache Haus Heumann); EL 350 I AZ ES 14512 (Entschädigungssache Isaac Hyman); EL 350 I AZ ES 14512-1 (Entschädigungssache Dr. Arthur Hyman).

Literatur:

  • Adressbücher 1886-1956
  • Andreas Maisch, Daniel Stihler: Schwäbisch Hall. Geschichte einer Stadt, Künzelsau 2006, S. 275-279 (zum Fall Pachelbel)
  • Haller Tagblatt v. 14.07.1980 (Einweihung Musikschule)
  • Haller Tagblatt v. 11.11.2009 (Gemeinderatsbeschluss zum Umzug der Musikschule)
  • Haller Tagblatt v. 21.06.2011 (Umzug Musikschule)
  • Haller Tagblatt v. 10.12.2013, S. 9 (Umbau für Diak-Pflegeschule)
  • Haller Tagblatt v. 29.03. u. 03.06.2014 (Einzug der Krankenpflegeschule)
  • Ulrike Marski: "Der Arbeitsdienst war eine Gemeinschaft, die wir geschätzt und geliebt haben". Edeltraud Ellissen, Lagergruppenführerin des weiblichen Arbeitsdiensts in Schwäbisch Hall, in: Folker Förtsch, Andreas Maisch (Hrsgg.): Frauenleben in Schwäbisch Hall 1933-1945. Realitäten und Ideologien (Veröffentlichungen des Stadtarchivs 7), Schwäbisch Hall 1996, S. 137-156, hier 144ff.

Pläne und Ansichten vor 1827:

  • StadtA SHA S10/0804 (1728, Ausschnitt)