Gebäudeverzeichnis
Hirschgraben 2 - ehem. Kleinkinderschule und Kindergarten St. Katharina, heute nicht überbaut - früher: Baindtgasse 2
Primärkatasternummer: keine
Besitzer: 1827
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Besitzerliste
1886: Der Stiftungsrat (Verwaltungsgremium der Hospitalstiftung) beschließt am 14. Januar 1886 "den Bau einer Kleinkinderschule für die Gemeinde zu Sct. Katharina und Uebernahme der Baukosten incl. Platz Erwerbung auf die Hospitalverwaltung." Die "Kleinkinderschule" in der Katharinenvorstadt war bereits 1851 auf Anregung von Stadtpfarrer Merz gegründet worden und brauchte ein neues Domizil, da das bisherige,ab 1864/765 genutzte Haus (heute: Brüdergasse 27) zu klein geworden war.
1887: Eine Kommission des Stiftungsrats trägt in einer Sitzung vom 17. Februar 1887 vor, "daß es sich nicht empfiehlt, das Schulgebäude in unmittelbarer Nähe der Sct. Cath. Kirche zu stellen, da dasselbe einer späteren Erweiterung der Kirche unter Umständen hindernd im Weg stehen könnte. Die Commission hat daher ihr Augenmerk auf den in nächster Nähe befindlichen städt. Steinlagerplatz in der sog. Baindt gerichtet, welcher sich wegen seiner sonnigen, freien & stillen Lage inmitten des Stadttheils jens. Kochers für den genannten Zweck vorzüglich eigne, auch würde dort das Architektonische des Gebäudes mehr zum Ausdruck kommen und der von verschiedenen Seiten bequem zugängliche Platz einen schönen Anblick bieten u. so wäre dieser Platz ... dem bisher vorgesehenen entschieden vorzuziehen." Zur Deckung der etwa 16.500 Mark Baukosten kämen folgende Quellen in Frage: 1.) Die "Ackermann'sche Stiftung" mit etwa 2.500 Mark; 2.) die seit einigen Jahren im Hospitalhaushalt eingestellten 10.000 Mark für den Bau einer Kleinkinderschule bei St. Katharina; 3.) der Erlös für den Verkauf des 1863 als Kleinkinderschule erworbenen, nicht mehr genügenden Hauses von 4.000 Mark. Der Stiftungsrat folgt der Argumentation der Kommission und beantragt bei der Stadt die Überlassung des Grundstücks.
1887: Gemeinderat und Bürgerausschuss beraten am 25. Februar 1887 über "die Bitte um unendgeldliche Ueberlassung eines Theils des städtischen Platzes am Baindtweg an die Hospitalverwaltung zum Zweck der Erbauung eines Kleinkinderschulgebäudes für den Stadttheil jenseits Kochers." Man kommt zum folgenden Beschluss: "...in Anbetracht, daß die Hospitalverwaltung durch die Erbauung der zum dringenden Bedürfniß gewordenen Kleinkinderschule, wie durch Uebernahme derselben der verpflichteten Stadtgemeinde eine bedeutende Last abgenommen hat, ferner daß die Stadtgemeinde durch die Abtretung fraglichen Platzes, der als aufgefüllter Stadtgraben zu den minderwerthigen gehört, einen nennenswerthen Ausfall an Pachtgeld nicht erleidet, um so weniger als die Unterhaltung der angrenzenden Stadtmauer fortwährend, insbesondere aber in diesem Frühjahr einen nicht unbedeutenden Aufwand erfordert, zugleich im Interesse des baldigen Zustandekommens des Bauwesens von beiden Kollegien je einstimmig beschlossen:
1.) Der Hospitalverwaltung zum Bau der Kleinkinderschule einen ca. 9 Ar großen Platz am Baindtweg unentgeldlich zu überlassen mit der Bedingung, daß dieselbe auch die Reparatur und Unterhaltung des daselbst angrenzenden Theils der Stadtmauer (ca. 60 m Länge) übernehme.
2.) um oberamtliche Genehmigung nachzusuchen."
1887: Mit einem Vertrag vom 7./9. September 1887 wird das 8 ar 47 qm umfassende Grundstück in der Baindt für den Bau der Kleinkinderschule St. Katharina von der Stadtgemeinde Hall an die Hospitalverwaltung abgetreten.
1888: Einweihung der Kleinkinderschule am Montag, 30. April 1888 (Bericht s. unter Beschreibungen).
ca. 1938/1939: Zwangsweise Übernahme des bisher von der evangelischen Kirchengemeinde St. Katharina betriebenen Kindergartens durch die nationalsozialistische Wohlfahrtsorganisation "NSV".
1945: Der Schwäbisch Haller US-Militärgouverneur Major Philipp C. Lewis genehmigt laut einem Schreiben vom 14. Mai 1945 die Wiedereröffnung der konfessionellen Kindergärten.
1945: Der Gemeinderat beschließt in einer Sitzung vom 1. Juni 1945, die Kindergartenverwaltung zurück an die Hospitalverwaltung zu übertragen und u.a. den Kindergarten im Baindt "in Ordnung zu bringen." Die Kirchen sind "zur Besetzung mit Kindergärtnerinnen" zu veranlassen.
1945: Stadt und evangelische Gesamkirchengemeinde schließen am 25.7.1945 eine Vereinbarung über den Betrieb der Kindergärten. Diesem zufolge stellt die Stadt "die bisherigen Kindergärten in der Baindtgasse, auf dem Rollhof und am Crailsheimer Tor .... samt den vorhandenen Möbeln, Spielsachen und Spielplätzen der evang. Gesamkirchengemeinde zur Weiterführung eines Kindergartens kostenlos zur Verfügung." Weiterhin übernimmt die Stadt die Kosten für den laufenden Betrieb (Heizung, Gebäudeunterhaltung usw.), evtl. auch einen Zuschuss zum Gehalt der Kindergärtnerinnen. Anstellung und Bezahlung des Personals übernimmt die Gesamtkirchengemeinde,
1950: Stadt und Gesamtkirchengemeinde schließen am 8. Mai 1950 einen inhaltlich weitgehend der Vereinbarung von 1945 gleichenden Vertrag über den Betrieb der Kindergärten ab.
1978: Stadt und Gesamtkirchengemeinde vereinbaren am 15. Dezember 1978 einen überarbeiteten und ausgeweiteten Vertrag über den Betrieb der evangelischen Kindergärten.
Befunde aus Bauforschung
Archäologische Funde aus dem 16. Jahrhundert (StadtA Schwäb. Hall BF 222)
Reste der Stadtmauer und der vorgebauten Zwingermauer. Vgl. Datenbank Bauforschung Baden-Württemberg.
Befunde aus Bauakten
1887-1888: Neubau der "Kinderschule" als zweistöckigem Fachwerkgebäude nach Plänen des Stadtbaumeisters Christoph Kolb.
1957: Neubau eines Kamins.
1964: Umbau des Kindergartens. Auf der Rückseite des Hauses wird ein Anbau zur Erweiterung der Toilettenanlagen erstellt. Umbauten erfolgen auch im Obergeschoss, wo in ein Ausweich-Gruppenraum, ein Lehrer-WC, eine Küche und ein Abstellraum eingerichtet werden. Ebenso werden Küche und Bad in der "Lehrerwohnung" erneuert. Die zentralen Gauben auf der Gebäudevorder- und Rückseite werden abgebrochen, vermutlich wird bei dieser Gelegenheit auch das Sichtfachwerk verputzt.
Beschreibungen
1887/1888 - aus dem "Kostenvoranschlag u. Kostensverzeichniß über Erbauung einer Kinderschule jens. des Kochers" (in H02/4469):
"Der Neubau kommt in den sogenannten Hirschlesgraben, dem früheren Stadtgraben, welcher ca. 3 Meter hoch aufgefüllt ist, zwischen den Baindtweg u. der Bahnlinie nach Heilbronn zu stehen, u.enthält im Erdgeschoß 2 Schulgelasse je 10.0 Meter lg. 8.0 Meter breit, 3.5 Met. im Licht hoch für je 125 Kinder in 10 Subsellien je 1.60 Met. lang u. 5 Subsellien je 2.0 M lg. Zwischen den beiden Schulgelassen befindet sich der Eingang mit 3.5 Met. breitem Vorplatz u. der Treppe zum Dachstok 1 Met. breit zwischen den Wangen. Unter der Treppe hindurch führt es zu den Schülerabtritten je 3.0 m lg, 1.75 mtr brt. mit je 4 Sitzen für Knaben u. Mädchen. Im Souterrain befindet sich ein Keller für die Lehrerin, die Treppe zu diesem befindet sich unter der Haupttreppe. Der Dachstock mit 3 Zwerchbauten enthält auf der Südseite 1 heizbares u. 1 unheizbares Zimmer für die erste Lehrerin, auf der Nordseite 1 heizb. Zimmer für die zweite Lehrerin, außerdem eine Küche, Speiskammer u. Abtritt nebst 3 verschließbaren Kammern mit Lattenverschlägen. Der Neubau auf sog. Erdbögen aus Betonmauerwerk fundirt ist in ausgeriegeltem Fachwerk auf einem 70 cm hohen Steinsockel hergestellt, das Erdgeschoß verputzt, die Zwerchhäuser mit sichtbarem Fachwerk geriegelt u.verputzt, ebenso der Kniestock des Hauptdaches. Die Abortanlage ist nach dem Grubensystem auszuführen beabsichtigt. Das Dach wird mit Ziegeln gedeckt. Auf der Nordseite des Gebäudes soll der Spielplatz mit einem Steckenzaun umfriedigt werden, zum Schuz gegen Sonne mit Bäumen bepflanzt, auch auf der anderen Seite soll vor dem Giebel ein Eigenthum von 6 m abgegrenzt werden. Der Aufwand für den Neubau nach angeschlossenen Plänen berechnet sich wie folgt: ...
a.) der nach dem Voranschlag erwachsene Bauaufwand .... auf 14.451 M 93 Pf.
b.) der außerordentliche Bauaufwand (Unvorhergesehenes) ... auf 1.330 M 52 Pf."
1888 - Bericht über die Einweihung im "Haller Tagblatt":
"Hall, 1. Mai. Gestern nachmittag fand der Umzug der Kleinkinderschule zu St. Katharina (Paulinenpflege) von dem alten Lokal in das neu erstellte Gebäude am Hirschgraben statt. Vollzählig hatten sich die Kinder mit ihrer Lehrerin in den alten Räumen versammelt. Auch viele Angehörige, fremde Kinderlehrerinnen, Vertreter der Kirchengemeinde von St. Michael und des Stiftungsrats hatten sich eingefunden. Nachdem die Kinder einige Verse gesungen [hatten], nahm der Vorstand der Kleinkinderschule, Stadtpfarrer Hochstetter, mit einer kurzen Ansprache und mit Gebet Abschied von den Räumen, die 26 Jahre lang die Kinderschule beherbergt hatten, worauf sich der Zug der Kinder durch die lange Straße nach dem neuen Heim bewegte. Dasselbe hat fern von dem Verkehr der Straße im Hirschgraben einen prächtigen, nach allen Richtungen wohl geeigneten Platz gefunden. Nach der Ankunft daselbst übergab Herr Stadtbaumeister Kolb mit einer Ansprache, in welcher er einen Rückblick auf den Verlauf des Baues warf, die Schlüssel des neuen Gebäudes dem Vorstand der Kleinkinderschule, Herrn Stadtpfarrer Hochstetter, worauf der Einzug erfolgte. In einem der beiden schönen geräumigen Säle versammelten sich die Kinder, und nun hielt Herr Stadtpfarrer Hochstetter noch einmal eine Ansprache, in welcher er den Gefühlen der Freude und des Dankes Ausdruck gab und im Namen der St. Katharinengemeinde insbesondere den Kollegien [= Gemeinderat und Bürgerausschuss] und dem Stiftungsrat den Dank abstattete für die Unterstützung und Förderung, die sie dem Unternehmen eines Neubaus für die Kleinkinderschule zuteil werden ließen. Er schloß mit den besten Wünschen für die Kinder und die Lehrerinnen und deren Arbeit an den Kleinen. Herr Stadtschultheiß Helber ermahnte die Kinder zur Schonung der schönen und freundlichen Räume. Bei einer gemeinsamen Besichtigung des Gebäudes fand dasselbe allgemeine Anerkennung."
Kurzer Überblick über die Geschichte des Kindergartens St. Katharina
Als zweite Einrichtung dieser Art nach der 1834 gegründeten "Kinderschule" St. Michael wurde die Kinderschule St. Katharina 1851 auf Initiative von Stadtpfarrer Merz für die Bevölkerung "jenseits Kochens" gegründet, "wo sie aufgrund der Sozialstruktur als besonders notwendig erachtet wurde" (F. Förtsch). Der Stiftungsrat als Verwaltungsorgan der Hospitalstiftung bewilligte am 19. September 1851 einen Zuschuss von 111 Gulden zu den Kosten. Da auch ein "Gnadengeschenk" von Königin Pauline von Württemberg einging, wurde die neue Einrichtung anfangs als "Paulinenschule" bezeichnet. Untergebracht war sie anfangs in angemieteten Räumen, 1864/65 erwarb die Hospitalverwaltung ein eigenes Haus in der Brüdergasse, heute Brüdergasse 27. Die Paulinenschule "erhielt wegen ihrer Räumlichkeiten und der Leistung der Lehrerin, Frau Katharina Karle, bei Inspektionen viel Lob ..." (F. Förtsch). Mitte der 1870er Jahre standen in der Paulinenschule etwa 50 Plätze zur Verfügung. 1886 fiel ein Grundsatzbeschluss des Stiftungsrats, ein neues Gebäude für die Kleinkinderschule St. Katharina in der Baindt zu erstellen, nachdem die Kleinkinderschule St. Michael bereits 1874/75 einen Neubau erhalten hatte. Das an 30. April eingeweihte, nach Entwürfen des Stadtbaumeisters Christoph Kolb erbaute Haus sah nunmehr Plätze für nicht weniger als 250 Kinder vor.
Zur weiteren Entwicklung des späteren Kindergartens liegen zahlreiche, noch nicht ausgewertete Unterlagen vor allem im Hospitalarchiv vor, weitere Dokumente sind im Pfarrarchiv von St. Katharina zu erwarten. Die erste ausgebildete "Kindergärtnerin" im Kindergarten St. Katharina könnte die 1904 eingestellte Helene Bezler gewesen sein, deren Ausbildungszeugnis von 1903 sich erhalten hat. Erinnerungen an die 1920er Jahre hat Willi Eller aufgeschrieben: "Eine Vermischung der Geschlechter gab's damals nicht... Schwester Sofie, die erst in der nächsten Generation zur 'Tante' avancierte, behütete und beschäftigte die Buben, Schwester Berta die Mädchen. Die beiden Gruppenräume im Hochparterre - die Lehrerinnen wohnten im Dachgeschoss - waren streng und nüchtern, wie es sich gehörte, wenn man von Schule und Lehrerin sprach. Nicht viel mehr als die schlichten kleinen Stühlchen und Tischlein im Schneewittchen- und Sieben-Zwerge-Format verrieten die Zweckbestimmung der Räume und des Aufenthalts. Man spielte, hörte zu, sang, betete und lernte auswendig, denn die Kinderschulfeste waren anstrengende Vortragsveranstaltungen..."
Offenbar wurde der Kindergarten etwa 1938 von der nationalsozialistischen Wohfahrtsorganisation "NSV" übernommen. Im Hintergrund standen die Bemühungen des NS-Staats, den kirchlichen Einfluss zurückzudrängen. Nach dem Ende der NS-Diktatur 1945 vereinbarten Stadt und Gesamtkirchengemeinde eine Rückkehr des Kindergartens in kirchliche Trägerschaft.Die Stadt stellte das Gebäude zur Verfügung, übernahm die laufenden Kosten und gewährte weitere Zuschüsse, wärend die evangelische Kirche das Personal einstellte und bezahlte. 1964 erfolgte eine größere Sanierung des Gebäudes.
Überlegungen der Stadt, den Kindergarten zugunsten einer Verbreiterung der Straße am Hirschgraben an einen anderen Standort zu verlegen, konkretisierten sich Ende der 1980er Jahre und führten zu kontroversen Diskussionen. Bedenken von Erzieherinnen und Eltern konnten aber offenbar weitgehend ausgeräumt werden. Der Bau eines neuen Kindergartens im Hirschgraben 15 begann im Dezember 1992, das Gebäude mit Platz für 52 Kinder in zwei Gruppen konnte am 24. September 1994 eingeweiht werden. Das alte Gebäude wurde nach dem Abschluss des Umzugs abgerissen. (Text: D. Stihler)
Besonderheiten
Im Bereich des 1994 abgerissenen Kindergartens verliefen Stadtmauer und Graben. Diese wurde im Zuge des Eisenbahnbaus abgebrochen und mit dem Bahndamm überdeckt.
Quellen
Archivalien:
- StadtA SHA 19/392 (Gemeinderatsprot. 1887), S. 69f.; 27/112 (Bauakten Hirschgraben 2); 35/12533 (Verträge über den Betrieb der evang. Kindergärten, 1945-1955); 35/19586 (Verträge über den Betrieb der evang. Kindergärten, 1978-1980); 35/00261 (Neueröffnung der Kindergärten nach 1945); H02/4469 (Beilagen Hospitalrechnungen, u.a. Stiftungsratsbeschlüsse u. Kostenvoranschlag u. -verzeichnis zur Erbauung einer Kinderschule, 1887/88); H04/1134 (Kleinkinderschulen und Kindergärten); S01/1659 (Daten zu Kindergärten 19. Jh.); Zeitungsausschnittsammlung, Stichwort "Kindergärten"
Literatur:
- Willi Eller: Als die Kinderschule in die "Letz" umzog. 100 Jahre Kindergarten St.Katharina. Gesammelte "Geschichtle" aus der Jugendzeiit jenseits Kochers, in: Haller Tagblatt v. 30.4.1988
- Folker Förtsch: Armenfürsorge im 19. Jahrhundert. in: Elisabeth Schraut, Harald Siebenmorgen u.a. (Hrsgg.): Hall im 19. Jahrhundert, Eine württembergische Oberamtsstadt zwischen Vormärz und Jahrhundertwende (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall; Bd. 5), Sigmaringen 1991, S. 58-74, hier S. 65ff.
- Haller Tagblatt v. 2.5.1888, S. 432 (Bericht über Einweihung)