Häuserlexikon Steinbach – Primärkataster-Nr.

Comburg 10-11 - Großer Vikarienbau mit Mesnerhaus und Kreuzgang

Adresse: Comburg 10-11
Primärkatasternummer: 210 (2a-b alt)
Besitzer: 1827
Kameralamt Hall


Besitzerliste

1830 (Primärkataster): das Kameralamt Hall für den Staat, für 2a: die Kgl. Kriegskassenverwaltung zur Benutzung

Befunde aus Bauforschung

Der „Große Vikarienbau“ und das Mesnerhaus mit Kapitelsaal, Josefskapelle, Wintersakristei und Kreuzgang

Die ältesten Teile des „Großen Vikarienbaus“ stammen aus der Gründungszeit des um 1078 gestifteten Benediktinerklosters Comburg. Das Erdgeschoss diente als Auditorium (Sprech- und Arbeitssaal), im Obergeschoss befand sich das Dormitorium (Schlafsaal). Zwei Deckenbalken des Erdgeschosses konnten dendrochronologisch auf den Winter 1090/91 datiert werden und gehören damit zu den ältesten, sicher datierten Bauteilen der Comburg. Zapfenlöcher in den Balken lassen erkennen, dass mittig durch das Auditorium eine Ständerreihe lief. Die Fertigstellung der Klausurbauten, zu denen das Gebäude gehörte, wird auf die Zeit des Abtes Herwig (belegt 1104/08 – ca. 1138) angesetzt. Der heutige Dachstuhl entstand 1408 unter Abt Ehrenfried I. von Vellberg (im Amt 1402-1421). 1520 erfolgte eine Verlängerung des Baukörpers um 5 m nach Westen. Im Zuge der umfangreichen Umbauten in der Zeit Erasmus Neustetters (Dekan 1551-1594, ab 1583 auch Propst) entstanden Innenwände aus Fachwerk, deren Hölzer auf 1593/94 datiert sind. Nach der Umwandlung des Klosters in ein Stift diente das Gebäude als Wohnung für die Stiftsvikare, denen die Ausführung der geistlichen Aufgaben oblag und die – im Gegensatz zu den meist in Würzburg residierenden Stiftsherren – auch auf der Comburg lebten. Im 19. Jahrhundert waren im „Großen Vikarienbau“ – wie in den meisten Gebäuden der Comburg – Angehörige des Württembergischen Ehreninvalidenkorps untergebracht. Während der NS-Zeit befand sich hier ein Heim der Hitlerjugend, das aber 1939 der Wehrmacht weichen musste. Eine von baugeschichtlichen Untersuchungen begleitete, grundlegende Sanierung des Gebäudes fand 1993-1995 statt.

Im Erdgeschoss des östlichen Teils hat sich mit dem auch als „Schenkenkapelle“ bezeichneten romanischen Kapitelsaal (dem Versammlungssaal) ein aus der Gründungszeit stammender, zentraler Bestandteil des mittelalterlichen Klosters erhalten. Betreten wird er durch einen mit einer offenen romanischen Zwerggalerie abgetrennten, höher gelegenen Vorraum mit einer geschnitzte Bretterdecke aus der Zeit der Spätgotik. Vermutlich führte hier ursprünglich eine Treppe in das im oberen Stockwerk befindliche Dormitorium. Der Vorraum bildet eine Verlängerung des östlichen Kreuzgangflügels, der durch den Bau der barocken Stiftskirche verloren gegangen ist. Der Raum wurde 1707 im Zusammenhang mit dem barocken Neubau der Stiftskirche verkleinert. Die Balkendecke weist an vier Brettern eine aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts stammende Bemalung auf, die ursprünglich wohl zu einem den ganzen Saal überspannenden, monumentalen Deckenbild gehörte. Zur ursprünglichen Ausstattung des Raums gehört das steinerne Lesepult aus dem 12. Jahrhundert, an dem sich Reste einer roten Farbfassung erhalten haben. Das heutige Aussehen des Kapitelsaals ist geprägt von zahlreichen Grabdenkmalen von Äbten, Pröpsten, Stiftsherren, Vikaren und Adeligen, die meist aus der romanischen Kirche, dem Kreuzgang, den verschiedenen Kapellen oder dem ebenfalls nicht mehr existenten Friedhof bei der Kirche stammen. Die älteste, im Vorraum aufgestellte Grabplatte des Konrad von Sulz datiert auf das 12. Jahrhundert. Viele Monumente erinnern an die Adelsfamilie der Schenken von Limpurg, deshalb die Bezeichnung „Schenkenkapelle“. Bemerkenswert sind etwa die dem Umfeld des Ulmer Bildhauers Hans Multscher zugeschriebenen Denkmale des Schenken Friedrich V. von Limpurg (†1474) und seiner Gattin Susanna von Thierstein († 1468), oder das des Schenken Georg I. († 1475), der überlebensgroß in voller Rüstung, mit einem Spieß in der Hand, dargestellt ist. Farbreste erlaubten bei dem 1418 von Abt Ehrenfried I. von Vellberg gestifteten Denkmal für den Klosterpatron St. Nikolaus und dem Grabmal des letzten Abts und ersten Propsts Seyfried vom Holtz († 1504)  die Wiederherstellung der Bemalung.

Südöstllich an den Vikarienbau angebaut ist das Mesnerhaus. In seinem Untergeschoss befindet sich die vom Kapitelsaal aus zugängliche Josephskapelle. Sie diente im 15. Jahrhundert als Grabkapelle der Schenken von Limpurg und erhielt ihre heutige Gestalt durch Schenk Friedrich V. und seine Ehefrau Susanna von Thierstein, die sich mit ihren Ahnenwappen auf dem Triumphbogen von 1470 verewigt haben. Darüber ist ein älterer, wohl romanischer Christuskopf angebracht. Die Fenster in der Südwand stammen aus dem 16. Jahrhundert, den barocken Josefsaltar stiftete 1674 Dekan Johann Heinrich von Ostein. Das Retabel fertigte der aus Mechelen im heutigen Belgien stammende, in Würzburg tätige Maler Oswald Onghers (1628-1706).
Die zweite Hälfte des Erdgeschosses bildet die nur von der Stiftskirche aus zugängliche Wintersakristei. Hier haben sich Reste von Freskomalereien mit lebensgroßen Heiligen wie St. Nikolaus und St. Benedikt erhalten, die der aus Konstanz stammende Maler Michel Viol (1545- um 1600) während seiner von 1568 bis 1575 dauernden Tätigkeit für Dekan Erasmus Neustetter (im Amt (1551-1594, ab 1583 auch Propst) anbrachte. Ebenfalls nur noch fragmentarisch erhalten sind ältere Malereien, die auf etwa 6 m Länge vermutlich das Jüngste Gericht zeigten. Unter der Sakristei liegt ein wohl hochmittelalterlicher Gewölbekeller. Das heutige Aussehen des Mesnerhauses wird durch die beiden auf das 17. Jahrhundert datierten Obergeschosse geprägt. Der Baukörper schließt jedoch in das 13. bis 15. Jahrhundert zurückgehende Teile ein, möglicherweise auch Mauerwerk der Grafenburg des 11. Jahrhunderts. Der untere Teil des außen an das Mesnerhaus angebauten Turms ist zeitgleich mit der Josefskapelle im 15. Jahrhundert entstanden, der jüngere, im Mauerwerk deutlich abgesetzte obere Teil entstammt wie der obere Teil des Mesnerhauses dem 17. Jahrhundert. Bei den umfangreichen Renovierungsarbeiten 2004-2006, in deren Zusammenhang Räume für Staatliche Akademie eingerichtet wurden, machte man im Dachbereich mehrere ungewöhnliche Funde, so einen menschlichen Schädel sowie die Metallbuchstaben der 1936 vom Torhaus abgenommenen Widmungsinschrift für das Invalidenkorps.

Nördlich an den Vikarienbau stößt der romanische Kreuzgang mit seinen schlichten Rundbögen an. Zum alten Baubestand gehören lediglich der Südflügel am Vikarienbau und der an den Adelmannbau und die Alte Abtei angebaute Nordflügel. Der Ostflügel fiel dem barocken Neubau der Stiftskirche 1707–1715 zum Opfer. Bis dahin hatte er den Westchor der romanischen Kirche in einem tunnelartigen Durchgang unterquert, von dem aus auch eine Brunnenstube im Untergeschoss des Westturms betreten werden konnte. Der Westflügel des Kreuzgangs wurde zusammen mit dem Westtrakt der Klausur 1830 abgebrochen, um Unterhaltungskosten zu sparen und den Blick auf die Stiftskirche freizumachen. Zu diesem Gebäudeteil gehörte u.a. die als Abtskapelle dienende Marienkapelle. Weiterhin vermutet man hier die Infirmarie (Hospiz für alte und kranke Mönche) und das Noviziat (für angehende Mönche). Zur Zeit des Dekans Ludwig Zobel von Giebelstadt (im Amt 1614-1619) verlegte man die Klosterbibliothek aus der Alten Dekanei hierher. Der Bestand umfasste zum Ende der Stiftszeit 3.500 Bände, darunter rund 150 mittelalterliche Handschriften, wurde 1805 größtenteils nach Stuttgart gebracht und ist heute Teil der württembergischen Landesbibliothek. Der Westflügel des Kreuzgangs wurde 1964 wieder hergestellt. Im Kreuzgang finden sich zahlreiche Grabsteine und Epitaphien, im Südflügel haben sich Freskomalereien Michel Viols aus der Zeit von Erasmus Neustetter erhalten. Sie zeigen Teile der Leidensgeschichte Christi (Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablege) sowie Szenen aus der Apokalypse des Johannes.

Beschreibungen

1830 (Primärkataster): der große Vicarienbau mit 1/8 Morgen 7,4 Ruthen, Masnerwohnung in demselben mit 41,6 Ruthen

Comburg 1, 2, 4, 5, 6, 7, 7/1, 7/2, 8, 8/1, 9, 9/1, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, Großcomburger Weg 8 (Flst.Nr. 2-112, 2-114, 2-116, 2-118, 2-123/1, 2-130, 2-134/1, 2-134/2, 2-168, 2-433, 2-433/1, 2-433/2, 2-433/3, 2-433/4, 2-433/5, 2-433/6, 2-433/7, 2-433/8, 2-433/9, 2-433/10, 2-433/11, 2-433/12, 2-433/13, 2-434, 2-434/1, 2-434/2, 2-434/3, 2-434/4, 2-434/5, 2-434/6, 2-434/7, 2-434/8, 2-434/9, 2-434/10, 2-434/11, 2-435, 2-435/1, 2-435/2, 2-435/3, 2-435/4, 2-436, 2-436/1, 2-436/2, 2-436/3, 2-436/4, 2-437, 2-437/2, 2-439, 2-439/1, 2-439/3, 2-439/4, 2-440, 2-440/1, 2-441-443) Sog. Große Comburg mit ehem. Fruchtkasten (Großcomburger Weg 8), bez. 1705 (Sachgesamtheit). § 28 (aus: Liste der Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, Stadt Schwäbisch Hall, Stand 13.11.2013)

Zur Geschichte und Baugeschichte der Comburg insgesamt siehe Comburg 12 (Stiftskirche St. Nikolaus) unter „Beschreibungen“

Besonderheiten

Bei der Anlage des Primärkatasters 1830 erhielten die Gebäude der Comburg eine separate, mit 1 beginnende Nummerierung. Um Verwechslungen zu vermeiden, wurden hier die späteren Nummern verwendet.

Quellen

Literatur (Auswahl):

  • Fritz Arens: Die Comburg bei Schwäbisch Hall, Königstein o.J. [um 1988], S. 36ff
  • Michael Greiner, Dirk Vogt-Merz, Gabriele Kleiber, Hans-Reiner Soppa: Die Comburgen bei Schwäbisch Hall, Stuttgart 2010, S. 80ff [zu Restaurierungsarbeiten]
  • Gabriele Kleiber: Groß- und Kleincomburg (Führer Staatliche Schlösser und Gärten), München; Berlin 1999, S. 47f.
  • Sören Gross: Die Klausurbauten der Großcomburg zwischen repräsentativem Anspruch und monastischer Funktionalität, in: Klaus Gereon Beuckers (Hrsg.): Kloster Großcomburg. Neue Forschungen. Hrsg. von Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Regensburg 2019, S. 147-163
  • Ulrich Knapp: Von der Grafenburg zur Königlich Württembergischen Kaserne. Die Befestigungsanlagen der Comburg, in: Klaus Gereon Beuckers (Hrsg.): Kloster Großcomburg. Neue Forschungen. Hrsg. von Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Regensburg 2019, S. 369-468,
  • Esther-Luisa Schuster: Die romanische Deckenmalerei im ehemaligen Kapitelsaal der Großcomburg, in: Klaus Gereon Beuckers (Hrsg.): Kloster Großcomburg. Neue Forschungen. Hrsg. von Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Regensburg 2019, S. 275-286
  • Johannes Zahlten: Die Grabmäler der Comburg. Wappensteine, Epitaphien und Fmailiengrablegen eines imaginären Grabmuseums, in: Elisabeth Schraut (hrsg.): Die Comburg. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums; Bd. 3), Sigmaringen 1989, S. 57-80 

Archivalien:     

  • Landratsamt Schwäbisch Hall, Vermessungsamt, Primärkataster für Steinbach (Kopie im Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Signatur S01/1559)